Rinchnach - Guntherort und ehem. Klosterort

Rinchnach Gunther- und ehemaliger KlosterortSt. Gunther - OrtsgründerOrts- und Klostergründung Gu-Sy 2010, Dr. Loibl 
graphic





Dr. Richard Loibl
„Gunther und die böhmische Straße - der ostbayerische Donauraum in der Aufbruchszeit um 1000“
Gunthersymposiumsbeitrag, Rinchnach, 9.10.2010
 
  
"Aufschwung um 1000
Warum um 1000? Mit dieser Frage möchte ich meine Ausführungen heute abschließen. Europa erwachte damals aus einer langen Schockstarre. Endlich gab es wieder Innovationen, allen voran die Dreifelderwirtschaft, die die Ernteerträge um gut ein Drittel anwachsen ließ. Weitere Steigerungen erbrachte der im 11. Jahrhundert zunehmend eingesetzte schwere Pflug mit asymmetrischen Scharen und Streichbrett, wobei das wichtigste vielleicht die Verwendung von Eisen statt Holz war, gezogen von Ochsen und sogar Pferden, angespannt über den als revolutionär gepriesenen gepolsterten Schulterkragen.

Auch die Mühlen wurden zahlreicher und technisch ausgefeilter. Sie waren die Fabriken des Mittelalters, außerdem überörtliche Treffpunkte, die in Verruf gerieten, weil Prostituierte die Wartezeiten der Bauern zu verkürzen suchten. Der hl. Bernhard von Clairvaux forderte deshalb die Stilllegung der Mühlen, konnte sich aber nicht durchsetzen. Entscheidend war das technische Potential der Müller, das wohl auch zur Erfindung der Nockenwelle führte. Sie ermöglichte den Einsatz einer ganzen Reihe von Maschinen, u.a. der mit Wasser getriebenen Eisenhämmer, die für die Eisenerzeugung in der Oberpfalz von großer Bedeutung wurden. Die Produktion nahm nicht nur zu, die neuen Produkte wurden auch überregional nachgefragt und ausgetauscht. Der Handel, der lange nur Luxusprodukte, Waffen und Sklaven in bescheidenem Umfang erfasst hatte, nahm zu. Ein langfristiger Wachstumszyklus kam in Gang.

Die bessere Nahrungsversorgung führte zu Bevölkerungswachstum. Wir schätzen heute, dass die Bevölkerung Deutschlands im 11. Jahrhundert um rund ein Drittel zunahm, was der für mittelalterliche Verhältnisse gigantischen Zahl von einer Million Menschen entspräche. Diese Bevölkerungsexplosion entlud sich in einer neuen Rodungsbewegung – besonders im Herzogtum Bayern. Aufgenommen und gesteuert wurde sie von einem großen Kaiser, Heinrich II., in die Praxis umgesetzt von Abt Gotthard von Niederaltaich und seinem Schüler Gunther, die nicht nur steuerten, sondern selbst Hand anlegten. Mit Derbheit hat das viel weniger zu tun als vielmehr mit den Ordensregeln des hl. Benedikt. Die ideellen Grundlagen darf man bei dieser Aufbruchsbewegung 1000 nämlich keineswegs unterschätzen.

Die Entwicklung wurde begleitet von einer neuen Wertschätzung der Handarbeit und eben der Innovation, außerdem einer neuen Freizügigkeit. Bisher war die Landwirtschaft durch große Gutshöfe (Villikationen) bestimmt, bewirtschaftet wie in der Antike in der Hauptsache von Sklaven. Die Rodung führte weitab von den alten Zentren in die Wildnis. Neben den Dörfern entstanden jetzt auch Weiler. Hier musste man die Menschen aus der unmittelbaren Abhängigkeit entlassen; Kontrolle war nur mehr schwer möglich. Hand- und Spanndienste wurden aufgrund der großen Entfernungen seltener. An ihre Stelle traten Zinswirtschaft und Erbrecht. Die Gesellschaft wurde ein Stück freier – durch Kirchenreform und Kapitalismus. Abgesichert wurde diese Entwicklung durch die Gottesfriedensbewegung. Dem Europa der Krieger stellte sich ein Europa der Waffenlosen gegenüber, wie es Jacques Le Goff ausgedrückt hat. Vieles was charakteristisch wurde für die Kultur Europas, fand um 1000 seinen Anfang.
Dass dabei das heutige niederbayerische Donauland eine wichtige Schaltregion war, dass hier Persönlichkeiten wie die heiligen Gotthard und Gunther wirkten, die in wahrhaft europäischer Dimension Brücken zu den Nachbarn bauten, ist ein wunderschöner Anknüpfungspunkt für historische Erinnerung. Sie sollte auch in die Gegenwart und Zukunft wirken."